
Das  Spinnen ist eine Technik zur Herstellung von Fäden, die dann zu Kleidung weiter  verarbeitet werden können. Beim Spinnen werden lose und ungeordnete Fasern  gleichzeitig verdreht und ausgezogen. Dadurch entsteht ein Faden, der dann auf  die Spule aufgewickelt wird.
      
      Spinnen  ist eine uralte Fertigkeit des Menschen. Schon in der Steinzeit wurde Kleidung  aus Woll- und Leinenstoffen hergestellt. Spinnwirtel – Gewichte zum Beschweren  der Handspindel – wurden zum Beispiel bei den Ausgrabungen in Herxheim  gefunden. Viele Völker mit textiler Tradition – Indios in Südamerika,  Turkmenen, Navajos – haben unterschiedliche Spindelformen entwickelt. Es gibt  Kreuzspindeln, Standspindeln, Balkanspindeln und so weiter. Manche davon haben  einen spitzen Dorn, wie wir aus dem Märchen von Dornröschen wissen.
      
      Auch  in Europa war bis ins Mittelalter hinein nur die Handspindel bekannt Es braucht  12 fleißige Handspinnerinnen, um einen einzigen Weber mit Material zu versorgen  – da ist es kein Wunder, dass Frauen fast jede freie Minute mit der Handspindel  verbrachten. Im Römischen Reich wurden sie dafür besonders geachtet. “Sie hielt  das Haus in Ordnung und arbeitete mit Wolle” war ein römischer Grabspruch.
      
      Schon  früh entstanden Tuchmanufakturen in Europa und im Orient – immer noch von  Spinnerinnen mit der Handspindel bedient, die meist in Heimarbeit arbeiteten.  Dann, gegen Ende des 12. Jahrhunderts, gelangte das Spinnrad aus dem  orientalischen Raum nach Europa. In einigen Städten – z.B. in Speyer – wurde  der Gebrauch des Spinnrades für die Tuchmacherzunft verboten, weil die mit dem  Spinnrad gesponnene Wolle angeblich zu schlecht und zu ungleichmäßig war. Trotzdem  begann sich das Spinnrad im 13. Jahrhundert rasch in Mitteleuropa zu verbreiten.  Selbst nach der Erfindung der Spinnmaschine wurde das Spinnrad im häuslichen  Bereich weiter genutzt und gehörte bis ins 19. Jahrhundert zur Aussteuer der  Braut. In ländlichen Gegenden gab es den Brauch der Spinnstube, in der die  jungen Leute des Dorfes abends beisammen saßen und erzählten, Lieder sangen  oder den neuesten Klatsch austauschten.
 
    Auch heute noch wird das Spinnrad genutzt. Das Internet verbindet Hobby-Spinnerinnen und Spinner und sorgt für regen Austausch wie früher die Spinnstube. Omas Spinnrad allerdings sollte man eher als Dekoration verwenden. Es gibt heute High-Tech-Spinnräder mit futuristischem Design, klappbare Spinnräder, Reisespinnräder und andere. Aber auch eher traditionell aussehende Spinnräder haben heute Kugellager, Kunststofftreibriemen und variable Übersetzungen (“Mehrgangschaltung”).
Angelika Kraft-Böhm
   Fotos: Rosi Lauber